Antrag
der Fraktion der FDP
Aktionsplan zur Gesundheitsförderung und Prävention
von Übergewicht
bei Kindern und Jugendlichen
Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:
Das Abgeordnetenhaus fordert den Senat auf, einen „Aktionsplan zur
Gesundheitsförderung und Prävention von Übergewicht bei Kindern und
Jugendlichen“ bis zum 31. Dezember 2003 zu erstellen.
Dabei sollen vor allem Maßnahmen getroffen werden, die angesichts knapper Kassen mit geringem Kostenaufwand möglich sind:
–
Ausbau
des Schulsportes durch Qualifizierung des Sportunterrichtes.
–
Reduzierung
der Ausfallstunden im Sportbereich
–
Verstärkte
Kooperation zwischen Schulen und Sportvereinen.
–
In-Stand-Haltung
öffentlicher Sportanlagen.
Maßnahmen, die in Zusammenarbeit mit den Schulkonferenzen der Schulen oder den Beteiligten bei den Kindertagesstätten getroffen werden sollten:
– Praktische Ernährungskurse, Workshops in Schulen unter Einbeziehung der Eltern.
–
Pausenverlängerung
zur adäquaten Speiseneinnahme.
–
Vollwertige
Ernährung bei Schulspeisungen und in Kindertagesstätten.
–
Sicherstellung,
dass Körperkunde / Lebenskunde in den ersten Schuljahren ein fester Bestandteil
des Unterrichtes ist, in höheren Klassen: Workshops und Projekttage.
–
Ernährungsaufklärung
im Kindergarten für Erzieher, Eltern und Kinder
IV. Kooperation aller Beteiligten im
Gesund-heitswesen
–
Vernetzung
der Projekte von Senat, Bezirken, Kassen und anderen Trägern zur
ganzheitlichen, Institutionen über-greifenden Zusammenarbeit, z. B. Gesundheit
Berlin e. V.
–
Nutzung
des Erfahrungshorizontes der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZGA), die bereits ein Modellprojekt im Rhein-Sieg-Kreis durchführt
– Gemeinsame Präventionsstrategien und Projekte.
–
Kampagne
in den Schulen und Kindergärten zur Schulung der Erzieher, Lehrer und Eltern in
Bezug auf gesunde Ernährung und Lebensweise.
–
Informationskampagne
insbesondere in den türkischen Medien speziell für die türkische Zielgruppe.
–
Die
U1 bis U9 Untersuchungen werden verpflichtend, um Übergewicht sowie motorische
und sprachliche Defizite möglichst früh zu erkennen.
–
Wer
an diesen Untersuchungen nicht teilnimmt, verliert sein Anrecht auf kostenlose
Mitversicherung der Kinder in der Krankenversicherung.
Begründung:
Übergewicht
ist nach Angaben der WHO mittlerweile als Epidemie in den westlichen Industrienationen
einzustufen und einer der bedeutendsten gesundheitlichen Risikofaktoren. Auch
der neueste Berliner Spezialbericht zur Kindergesundheit bestätigt die
Dimension von Übergewicht und Adipositas
(Fettleibigkeit) für Berlin. So ist jedes fünfte Kind Berlins übergewichtig. Die weitverbreitete motorische Unzulänglichkeit führt zu immer häufigeren Schulunfällen. Allein die sportmotorische Leistungsfähigkeit der 6 - 18jährigen nahm in den vergangen acht Jahren um mehr als 20 Prozent ab.
Übergewicht
und Adipositas führen in ihrer Folge meist zu chronischen Krankheiten wie
Diabetes und damit zu langfristigen Kosten für das Gesundheitssystem. Die AOK
beklagt mittlerweile, dass wenn die Entwicklung so weitergeht, es eines Tages
nur noch Jugendliche gibt mit verkümmerter Muskulatur, Übergewicht und einem
unbelastbaren Herz-Kreislauf-System. Sie prognostiziert: der Herzinfarkt mit 30
würde zur Normalität und 70jährige könnten schneller laufen und weiter springen
als 20jährige. Dieser Entwicklung muss energischer entgegnet werden. Es reicht
nicht, resignierend festzustellen, dass nicht zu sehen ist, „was dem bisherigen
Verlauf der Entwicklung eine andere Richtung geben könnte, als in der
Vergangenheit“, wie es im Bericht heißt.
Auch aus
finanzieller Sicht für die Kassen können wir uns bevölkerungsweites Übergewicht
nicht leisten. So hat das Wissenschaftliche Institut der Ärzte Deutschland
e. V. – WIAD konstatiert, dass jeder zweite, der im Kindesalter
übergewichtig ist, auch im Erwachsenenalter Übergewicht hat. Die
Behandlungskosten für Übergewichtige betragen in Deutschland jetzt schon 12
Milliarden Euro pro Jahr.
Das Problem
Übergewicht/Adipositas ist folglich so epidemisch, dass es auch als solches
behandelt werden muss (Kurse der Krankenkassen reichen hier nicht aus). In
Anbetracht der leeren Kassen in Berlin sind hier Vorschläge auf der Agenda, die
mit einem vergleichsweise geringen Kostenaufwand, bei größeren strukturellen
Veränderungen, vollzogen werden können:
Die
Bewusstseinsbildung zu Ernährung und gesunder Lebensform muss in frühester Kindheit
und während der gesamten Schulzeit ausgebildet werden. Wichtig ist hierbei
nicht nur die kognitive Wissensvermittlung, sondern auch das praktische
Erfahren. Da die Eltern Vorbilder für ihre Kinder sind und mindestens eine
Mahlzeit auch im Elternhaus eingenommen wird, sind die Eltern einzubinden. In
Schulen, in denen Schulspeisungen angeboten werden, soll das Essen möglichst
vollwertig sein. Weniger entscheidend ist, dass das Essen aus BIO-Produkten,
als vielmehr die Qualität der Verarbeitung. Aus Erfahrungswerten ist die
Umstellung von Normal- auf Vollwertkost kostenneutral zu leisten, wenn der
Fleischanteil reduziert und saisonale Produkte eingekauft werden. BIO-Produkte
sind grundsätzlich teuer. Auch wenn die Verwendung selbiger vorzuziehen ist,
sollte eine gesunde Ernährung nicht an der Fixierung auf Bio-Produkten
scheitern. Wichtig
ist zudem, dass für die
Essenseinnahme ausreichend Zeit ist und somit die Pausen verlängert werden.
Sportunterricht
darf nicht weiter wie ein „Stiefkind“ in der Schulbildung behandelt werden.
Nach aktuellen Umfragen fallen 13 Prozent des Sportunterrichtes aus. Zudem ist
Sportunterricht aufgrund von Raummangel oder mangelhafter Sportgeräte manchmal
oder sogar häufig beeinträchtigt. Die schulischen Sportanlagen müssen daher
intakt, zwar nicht auf höchstem Niveau, aber doch intakt gehalten werden und
zugleich genügend öffentliche Sportanlagen bereitgehalten werden.
Aus dem
Gesundheitsbericht geht hervor, dass Übergewicht und Adipositas insbesondere in
der türkischen Bevölkerungsschicht ein Problem darstellt. Daher ist hier
gezielt eine Informationskampagne in den türkischen Medien zu starten, die über
die Notwendigkeit von gesunder Ernährung und Sport aufklärt und praktische
Tipps gibt.
Immer wieder wird aus Fachkreisen beklagt, dass Übergewicht sowie motorische und sprachliche Mängel nicht frühzeitig erkannt werden, weil Eltern ihre Kinder nicht zu den Vorsorgeuntersuchungen bringen. Daher sollen diese Untersuchungen verpflichtet werden mit dem Ziel, diese Defizite frühzeitig zu erkennen. Bei Nichtbeachtung verlieren die Eltern das Anrecht auf kostenlose Mitversicherung der Kinder in der Krankenversicherung. Hierzu ist eine Bundesratsinitiative seitens des Senates notwendig.
Berlin, den 19. August 2003
Dr. Lindner Matz
und die übrigen Mitglieder
der Fraktion der FDP
Ausschuss-Kennung
: GesSozMiVergcxzqsq